PCP (Pentachlorphenol)? Pyrethroide? HCH? Formaldehyd?
Was soll denn das mit MS zu tun haben?

Eben. Kein Neurologe fragt einen frisch MS-Diagnostizierten, ob dieser vielleicht unlängst ein Holzhaus aus den Siebzigern renoviert hat und z. B. an defekten Glutathion-Transferase-Genen leidet. Oder ob sein Patient gerade einen neuen Arbeitsplatz in einem irgendwie muffig riechenden Bungalow aus den Siebzigern angetreten hat. Das klingt nämlich absurd – und nach viel Arbeit für Baubiologen, Umweltmediziner und Humangenetiker. Dennoch sollte man als Betroffene/r wenigstens zwei Minuten über den eigenen Wohn- und Arbeitsort nachdenken, denn Umzug oder Renovierung binnen 12 Monaten vor Beginn der Erkrankung lassen sich ja leicht nachvollziehen – und falls die Antwort „nicht vorgekommen“ lautet, auch sofort als (Mit)Ursache ausschließen. Lässt sich allerdings ein Zusammenhang zwischen Ortswechsel oder Renovierungsmaßnahmen und Beginn der Symptome herstellen, sollte der Betroffene die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass seine Immunverwirrung möglicherweise de facto durch Toxine verursacht ist, insbesondere durch Stoffe wie Formaldehyd, PCP, Pyrethroide und HCH (Markenname Lindan, erst seit den späten Achtziger Jahren in Innenräumen verboten).
Wer unter den diskutierten neurotoxischen Wirkungen der erwähnten Stoffe nachschlägt, findet durchaus Interessantes. Beim Formaldehyd zum Beispiel: Blockierung des axonalen Transports langer Proteinfilamente, Desorganisation des Ranvierschen Schnürrings, Wallersche Degeneration (Absterben jeder Nervenfaser, deren Verbindung mit der Ursprungszelle zerstört ist) durch die Filamentmassen, die das Axon blockieren.
Ah. Und PCP? „Lipophile Substanzen, die bei Insekten und Säugetieren ausgeprägt neurotoxisch wirken“ – diese und verwandte Neurotoxika finden sich also bevorzugt in Holzschutzmitteln, lagern sich im Menschenorganismus primär im Fett- und Nervengewebe an und bereiten dem Vergifteten Beschwerden, die denen eines MS-Kranken verblüffend ähneln. Mit dem Unterschied, dass der Giftkranke keine „Schübe“ hat, sondern dauernd „progredient“ kranker wird. Denn „lipophile neurotoxisch wirkende Substanzen“ wie PCP, HCH und Formaldehyd zerstören nun mal – lipo – primär: Fett. Also genau das, woraus unsere Gehirne und die Myelinschicht, die Ummantelung der Axone (Nervenstränge), primär besteht. Fett. Schwere Parkinson- oder MS-Symptome wären oder sind bei dieser Sachlage mehr oder weniger bald zu erwarten, und bringt man den Erkrankten nicht schleunigst in Sicherheit, verschlechtert sich sein Gesundheitszustand stetig.
Wir sind daher gut beraten, sofern sich ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Erktrankungsbeginn und Umzugs- oder Renovierungsmaßnehmen herstellen lässt UND die genannten Stoffe sich sowohl im Hausstaub als auch im Blut des Betroffenen nachweisen lassen, nach dem letzten noch fehlenden Puzzlestück zu suchen, nämlich einer vorliegende Entgiftungsschwäche. (Wer die nicht hat, sollte allerdings nach menschlichem Ermessen sowieso kein Lindan in seinem Blut finden.)

Diese Entgiftungsschwäche ist von Humangenetikern durchaus feststellbar. Wer Neurologe ist und/oder daran grundsätzlich zweifelt, werfe wenigstens einen sekundenlangen Blick in diese jüngere Studie, die eben jenen ursächlichen Zusammenhang zwischen MS und Glutathiontransferase (GSTM1 und GSTT1) nahe legt.

Kurz: Besteht ein zeitlicher Zusammenhang zwischen Exposition des Betroffenen mit nerventoxischen Substanzen wie PCP, HCH, Pyrethroiden oder Formaldehyd und dem Auftreten der ersten Symptome, sollten Umweltmediziner und ggf. Humangenetiker eine Nervenschädigung durch eben diese Toxine wenigstens ausschließen. Oder feststellen. Auch wenn Sie danach renovieren oder umziehen müssen. Das ist nämlich immer noch angenehmer als „MS“ für den Rest Ihres Lebens.

SB 04/2015